Abschied vom Traumberuf?
Irgendwie fühlt es sich bizarr an- 36 Jahre ist es nun her, als ich meine Lehrertätigkeit begann. Aufgeregt vor der ersten Klasse stehend und all das theoretische Wissen nun vermitteln wollend. Bald merkte ich damals, dass das erworbene Methodikwissen aus dem Lehrerstudium offenbar nicht ausreichte. Meine Schüler waren zwar aufmerksam, aber merkten sich nicht alles. Seltsam, oder? Diesem Phänomen wollte ich auf die Spur kommen.
Ein Beamter wird Unternehmer
Es begann eine intensive Suche nach neuen, effektiven Lernmethoden. Methoden, die die Schüler auch annehmen. Aus der Suche wurde eine Leidenschaft, aus der kleinen AG Gehirnjogging eine erfolgreiche Firma namens Akademie für Lernmethoden. Anfangs nebenbei. Ein Sabbatjahr, also ein Ausstieg für ein Jahr, brachte dann die Grundlagen für die Akademie. Diese bildet heute Learn2learn- Trainer aus, befähigt Schülercoaches, ihre Mitschüler zu unterstützen und gibt tausenden Menschen aller Altersklassen wertvolle Lernwerkzeuge an die Hand. All meine vielen Unterrichtsstunden, in denen ich die neuen gehirn-gerechten Lernmethoden einsetzte, nutzte ich aber auch, um diese auf Praxistauglichkeit zu testen.
Das Mindmap war immer dabei.
Im Lehrerberuf gibt es keine Routine
Und ich hatte die unterschiedlichsten Schüler: Gymnasiasten, Schulverweigerer, Oberschüler, Schüler mit Lernschwächen, Hochbegabte, Schüler, die gerne zur Schule kamen und Schüler, die nur unter Druck dort auftauchten. Zuletzt Grundschüler von der Klasse 1 an.
Alles hatte seinen Reiz: Die Unterrichtsgespräche mit den Zwölfklässlern, die Firmengründungen mit der Sek II im Gymnasium Beeskow, die legendären Basketballwettkämpfe bis hin zum Bundesfinale, die Sportstunden mit den Grundschülern, die Geostunden, in denen ich meine Schüler selbstgebackene Gebirge verzehren ließ oder mit dem Fön Wüsten auspustete. Der Neigungsunterricht mit Klasse 5 oder 6, bei dem ich den Schüler ein ganzes Jahre lang Lernmethoden beibrachte oder die allerletzten Unterrichtsstunden der Abiturienten aus Erkner, die mit mir 2 volle Stunden kopfrechneten (okay, wir führten die erste Speedolino- Weltmeisterschaft durch) .
Die fehlende Spielwiese
Einen Abschied gibt es ja immer, wenn eine Klasse die Schule wechselt oder eine Abschlussklasse ins Leben entlassen wird. Aber diesmal? Diesmal, bei meinem eigenen Abschied ist niemand da, dem ich Tschüss sagen kann. Die Klassen bekommen dank Corona in Etappen die Zeugnisse überreicht, Homeschooling bestimmte das letzte halbe Schuljahr. Als 61jähriger war ich Risikogruppe und nicht in der Schule präsent. Sicher, wir haben in der Zeit Videos über Videos gedreht (ca. 250) , die über 30.000x angesehen wurden, aber der persönliche Kontakt war nicht da. Nicht die Augen der Kinder, die aufzeigten, dass ihr Besitzer vielleicht etwas nicht verstanden hatte oder das Leuchten, wenn etwas begriffen wurde. Meine Spielwiese wird mir tatsächlich fehlen.
Viele Schüler gingen durch meinen Unterricht
Rückblickend war es wirklich eine intensive Zeit, so ganz ohne Routine. Eine Zeit, die auch den einen oder anderen Prominenten hervorgebracht hat: Ich freue mich fast täglich über die Schaffenskraft meiner ehemaligen Schülerin Franziska Giffey, unserer Bundesfamilienministerin. Demnächst treffe ich mich mit Christian Wegner. War es nicht erst vor ein paar Jahren, dass ich ihm geholfen habe, den Hüftaufschwung am Reck zu erlernen? Nun erfahre ich, dass er gerade seine Firma Momox (Jahresumsatz 200 Millionen) verkauft hat. Steve Windolf- damals noch Steve Wrzesniowski legte bei mir die Abiprüfung im Sport ab und erzielte dabei drei fabelhafte Schulrekorde. Auf meine Frage, welche Ausbildung er denn nun angehen würde, antwortete er, er würde Schauspieler werden. Lächeln meinerseits: ” Und was wirklich?“ Aber er meinte es durchaus ernst. Heute ist er Tatortkommissar und spielte schon in einigen Kinofilmen die Hauptrolle.
So viele Schüler gehen durch die Hand eines Lehrers, von vielen weiß man nicht, was aus ihnen geworden ist. Ab und an liest man etwas oder findet sie im Fernsehen wieder, wie zB. Jens Nothroff, der Archäologe wurde und sensationelle Funde machte.
Und nun- Zurückblicken auf eine intensive und schöne Zeit
Na, erst einmal habe ich den Zeitpunkt ja selbst gewählt- der Termin des Sabbatjahres ist ja ganz bewusst gewählt worden. Die Doppelbelastung- Schule und Akademie waren auf Dauer zu anstrengend, außerdem habe ich eine Mission: Schülercoach- und Learn2learn- Trainerausbildung, Entwicklung neuer Lernsysteme, Learn2learn- Kongress, neue Lernspiele, alles mit dem Ziel, Veränderung der Bildungslandschaft. Und dafür brauche ich Freiraum. Und Fokus. Wir werden sehen, was sich im kommenden Jahr entwickelt. Ich habe ein gutes Gefühl. In der Schule könnte ich einige Klassen begeistern, in der Akademie können wir 100.000den helfen.
Morgen gebe ich meine Schulschlüssel ab.
Mit gemischten Gefühlen.
Jens Voigt