Unternehmerisch Denken und handeln

| Posted by | Kategorien: Allgemeines

Oder warum ich fast kein Lehrer mehr gewesen wär

Ende Juni 2016. Es war heiß draußen. Ich saß im Lehrerzimmer und ging die Geo-Stunde mit meiner siebenten Klasse durch. Da kam mein Schulleiter in den Raum und bat mich zum Gespräch. „Herr Voigt, wir beabsichtigen, Sie im nächsten Schuljahr nicht mehr an drei Tagen, sondern an vier Tagen einzusetzen. Außerdem bekommen Sie eine neue Klasse als Klassenleiter.“

Damit hatte ich nicht gerechnet

Ich war darüber sehr verwundert, meine 14 Unterrichtsstunden, die ich unterrichtete, waren bisher im Stundenplan an drei Tagen verteilt worden. Plötzlich sollte es nicht mehr gehen? Ich erinnerte meinen Direktor an unsere Abmachung, als ich vor vier Jahren zur Schule gestoßen war, dass ich eine Akademie für Lernmethoden leite und dafür die Verantwortung trage und dass ich zwei Tage brauche, um deutschlandweit Seminare abzuhalten. Die Existenz meiner Firma stand auf dem Spiel. Zufälligerweise wäre ich ein paar Tage später zu ihm gegangen, um ihn zu bitten, mich nur noch am Montag und Dienstag einzusetzen, um den gewachsenen Aufwand in der Akademie zu bewältigen. Dafür hätte ich noch auf zwei weitere Unterrichtsstunden verzichtet. Das Vorhaben der Schulleitung war aus meiner Sicht inakzeptabel. Ich bat ihn um ein weiteres Gespräch 14 Tage später. So hatten wir ausreichend Zeit, nach Alternativen zu suchen. Er willigte ein.

Rückfahrt mit gemischten Gefühlen

An diesem Tag fuhr ich mit gemischten Gefühlen nach Hause. Ich war nicht frustriert oder geschockt. War das ein Zeichen? Sollte das der sanfte Hinweis sein, mich ab jetzt komplett auf meine Selbständigkeit zu konzentrieren? Drei zusätzliche Tage für die Akademie. Was würde das bedeuten? Wie viele Mindmaps würde ich zeichnen in der neugewonnenen Zeit? Neue Spiele entwickeln? Erstmals müsste ich Firmen nicht mehr sagen, dass ich Seminare nur ab Donnerstag anbiete.

Was ist mit meinen Schülern?

20151215_114809

  Unsere Schülercoaches

20160315_094406

Firmengründung im Unterricht

Du weißt, ich bin gegeisterter Lehrer. Meine Schüler spüren das natürlich. Ich hatte gerade im aktuellen Schuljahr sensationelle Erfolge gehabt. Erstmals hatte ich in der Schule Schülercoaches ausgebildet, der Durchschnitt meiner 22 Abiturienten in meiner Geoprüfung lag bei 1,7. Neun meiner Prüflinge hatte die Note 1, neun die Note 2 bekommen. Ich kam in allen Klassen gut an und konnte ihnen tolle Lernwerkzeuge an die Hand geben. Am meisten Spaß gemacht hatte der Seminarkurs der Klasse 11/12, in dem ich meinen Schülern unternehmerisches Denken beibrachte und sie dabei unterstützte, 12 Firmen zu gründen. Als sie ihre Geschäftsideen vor gestandenen Unternehmern präsentierten, waren diese so beeindruckt, dass einige überlegten, in die eine oder andere Idee zu investieren. Bei der IHK in Frankfurt sollte ich das Projekt vorstellen. Es löste Begeisterungsströme aus. Der neue Kurs war innerhalb von 10 Minuten überbucht.

14 Tage Bedenkzeit

Die vierzehn Tage vergingen wie im Fluge. Ich hatte meinem Rektor mein Angebot gegeben, auf zwei weitere Stunden zu verzichten und hatte als Alternative zur Klassenleitertätigkeit (es macht keinen Sinn, eine Klasse zu betreuen, wenn man nur an drei oder zwei Tagen in der Schule ist) angeboten, in Zukunft mich um die Schülercoaches zu kümmern. Während ich nach Alternativen gesucht hatte, blieb die Absicht der Leitung bestehen: Einsatz an vier Tagen und Klassenlehrer.

Kurzer Rückblick

Meine Lehrerkarriere begann in Fürstenwalde 1984. In meinen 23 Dienstjahren  im Städtischen Gymnasium hatte ich einen großen Schulsportverein mit 300 Mitgliedern aufgebaut, leitete die Arbeitsgemeinschaft Gehirnjogging, ein Aushängeschild der Schule, und errang mit vielen Klassenstufen wertvolle sportliche Erfolge: Viele Landesmeister im Schulwettbewerb und Teilnahmen beim Bundesfinale JtfO. Ich galt als beliebter Lehrer. Im Sommer 2007, drei Tage nach Zeugnisübergabe, bekam ich einen Brief vom Schulamt. Ohne sichtliche Begründung und ohne irgendwelche Berücksichtigung meiner Verdienste war ich versetzt worden nach Erkner. Ich hatte keine Möglichkeit, mich von einem Kollegen, meinen Schülern zu verabschieden. Es war unwürdig.

Nie mehr Schachfigur

Es war der Tag, an dem ich beschloss, nie mehr wie eine Schachfigur behandelt werden zu können. Daher fasste ich den Entschluss, meine bereits gegründete Lernwerkstatt Voigt als Firma kontinuierlich aufzubauen. Das habe ich getan. Kontinuierlich, Schritt für Schritt. Als ich jetzt zum Schulamt fuhr, um über meinen künftigen Einsatz zu sprechen, fuhr ich als Unternehmer, der über seine Tätigkeit selbst entscheiden kann. Zu Hause äußerte ich, dass für mich auch der Komplettausstieg in Frage käme. Meine Daggi hätte meinen Entschluss mitgetragen und mir den Rücken gestärkt.

Eine war entschieden dagegen

Tochter Anne hingegen bestand beharrlich darauf, dass ich Lehrer bleiben muss. Sie selbst war Schülerin in meinem Unterricht und sie kennt mich aus vielen Seminaren. Drei Tage, ein Wochenende lang hatte ich zwei vorbereitete Briefe liegen- meine Bitte auf unbefristete Freistellung und mein Versetzungsgesuch in eine andere Schule. Am besten hilft, über eine Angelegenheit zu schlafen. Am Montag früh rief ich den hoch erfreuten Schulleiter der neuen Schule an. Mit ihm konnte der gewünschte Kompromiss gefunden werden: Ich werde noch einmal in einer neuen Schule starten, diesmal im idyllischen Bad Saarow. An 2 ½ Tagen werde ich dort meinen Dienst verrichten und kein Klassenlehrer sein. Das Wichtigste: Ich konnte mich bei all meinen geliebten Schülern und Kollegen verabschieden. Weil ich den Zeitpunkt des Wechsels bestimmt hatte. Selbstbestimmt und nicht mehr als Schachfigur. Somit habe ich das umgesetzt, das ich meinem Seminarkurs vermittelt habe: Unternehmerisches Denken und Handeln.

Euer Jens

Schreibe einen Kommentar

Loading…