Extrinsische und intrinsische Motivation

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Wie bekommt man Leute dazu, statt der Rolltreppe die normale Treppe zu nutzen?

Diese Frage stellte ich meinen Facebook-Fans, Familienmitgliedern und Teilnehmern bei Seminaren. Die Antworten waren kreativ wie aufschlussreich:
Die Rolltreppe sperren lassen, ein Verbotsschild aufstellen, Gebühren nehmen für die Rolltreppe, Hindernisse aufbauen, die Rolltreppe sehr langsam fahren zu lassen (die aktiven Treppensteiger sind schneller), ein Warnschild aufstellen: „Die Benutzung dieser Rolltreppe schadet Ihrer Gesundheit!“ …

Andere schlugen vor:
Oben gibt es als Belohnung ein Eis, einen Smiley, Beifall der Passanten, man kann sich oben ein Musikstück wünschen, man bekommt einen Gutschein für ein Fitnessstudio, …

Die interessanten Antworten waren in mehrfacher Hinsicht aufschlussreich.

Alle kreativen Ideen drehten sich um die extrinsische Motivation.
Entweder setzte man auf „Bestrafung“, man könnte auch sagen, Schmerzvermeidung (Gebühr, Hindernis,…)
oder auf Belohnung /Freude empfangen (Eis, Gutschein, …)
Belohnungen oder Bestrafungen kommen immer von außen.

 

Extrinsische Motivation

1. Schmerzvermeidung

Interessant bei dieser kleinen Umfrage ist auch die Tatsache, dass etwa doppelt so viele Vorschläge für „Bestrafungen“ gegeben wurden.
Tickt so unsere Gesellschaft?
Vielleicht.

Ich mache einen Gedächtniskurs, um nicht Alzheimer zu bekommen.
Ich schließe eine Versicherung ab, um nicht in finanzielle Notlage zu kommen.
Ich brauche unbedingt den modernsten Blitzableiter, um mich vor dem Einschlag zu schützen.
Ich lerne, um keine schlechten Noten zu bekommen.

Dies sind typische Beispiele für die von außen kommende Motivation, seinen Status zu behalten und ihn nicht zu verschlechtern.

2. Freude erhalten

© Marius Graf - Fotolia.com Verzicht auf die Gewohnheit, Schokolade zu naschen

“Erst ein Incentive in Form einer Reise brachte bei den Mitarbeitern den notwendigen Motivationsschub.“
Ich lerne so viel, weil sich Mutti darüber freut, wenn ich gute Noten mit nach Hause bringe.
Meine Tochter bekommt für jede Eins einen Euro für ihre Sparkasse (doppelte Motivation).
Wenn ihr all die Aufgaben schafft, dann….

In der Schule wird viel zu viel mit extrinsischer Motivation  gearbeitet (natürlich auch von mir), weil…unsere Gesellschaft so tickt. Noch.
Weil wir es gewöhnt sind?
Weil es bequemer ist?

Leider ist es so, dass alle, die sich darauf einlassen, sich in gewisser Weise von anderen abhängig machen. Was, wenn die Belohnung aussetzt?  Was, wenn man sich an seine Gehaltserhöhung gewöhnt hat. Sinkt dann die Motivation, um noch mehr Einsatz zu zeigen? Meist ja. Warum eigentlich?
Weil wir nicht aus eigenem inneren Antrieb motiviert waren.

Intrinsische Motivation

Intrinsische, also von innen kommende Motivation belohnt uns übrigens auch.
Dann wird körpereigenes Dopamin ausgeschüttet, das innere Belohnungssystem greift.
Das wirkt langfristiger als die von außen gesteuerte.
Und wo beobachten wir dies?

Mein Coach Finn (6)

Bei Kindern, die in ihrem Spiel versunken sind.
Sie sind gerade beim Lernen, aber merken es nicht. Sie lernen spielerisch. Sie machen es einfach. Und dann macht es auch gar nichts, wenn ihnen der Bauklotzturm bereits das 10. Mal umgekippt ist. Sie machen einfach weiter und bauen ihn auch das 11. Mal auf.
Wenn etwas spannend ist. Ausprobieren zu dürfen, ist für Kinder die größte Belohnung, auch Fehler machen zu dürfen.

  • Bei Sportlern, die abseits aller Kameras sich selbst beweisen wollen oder die einfach nur Joggen, weil es ihnen Spaß macht.
  • Bei Forschern, die scheinbar keine Pause brauchen, die bis spät in der Nacht begeistert über ein Problem sitzen, da es für sie eine Herausforderung darstellt.
  • Bei Künstlern, die so lange an ihrem Werk malen, hauen, komponieren, tüfteln, bis es endlich ihren Vorstellungen entspricht.
  • Bei Erfindern, die solange tüfteln und probieren, bis endlich die Lösung als Prototyp vor ihnen liegt.
    (Ich kenne dieses Gefühl ganz genau und es macht wirklich glücklich.)Ich habe bei einem Trabitreffen einmal einen KFZ- Profi kennengelernt, der aus seinem Trabi in unzähligen Bastelstunden etwas absolut Geniales gezaubert hat. Er gewann den 1. Preis in der Kategorie Tuning, den er natürlich auch gerne entgegennahm, aber deshalb hatte er nicht nächtelang geschraubt. Er tat es aus Freude daran. Und am nächsten Tag hatte er sein Kunstwerk bereits wieder zerlegt, um etwas Neues daraus zu zaubern.

Wie sagt Julia Engelmann in ihrem Gedicht- „Lasst uns ein wenig Dopamin vergeuden“…!

Mein Aufruf:
Lasst uns überlegen, wie wir es schaffen, intrinsische Motivation in den Schulen, in den Firmen zu erzeugen.
Lasst uns überlegen, mit welchen Methoden, mit welcher Art von Aufgaben sich so etwas erreichen lässt.

Noch einmal zurück zu unserer Eingangsaufgabe:
Wie bringen wir Menschen dazu freiwillig auf die bequeme Rolltreppe zu verzichten und stattdessen die normale Treppe zu nehmen?
Aber bitte: Ohne extrinsische Motivationshilfen- weder Belohnung noch Strafe darf das Motiv sein.

Sie sollen die Treppe nehmen, weil sie es wollen.

Unmöglich?

Schaut selbst
Es ist möglich.

Euer Jens

Comments on Extrinsische und intrinsische Motivation

  1. Also das spricht mir so aus dem Herzen. Ganz tolles Beispiel, das mit der Rolltreppe! So auf dieses Thema einzustimmen, ist genial. Ja, leider lernen Schüler oft nur noch, um etwas zu bekommen oder nicht zu bekommen. Viele Kinder lernen für ihre Eltern, damit die nicht aufhören, sie zu lieben. So denken Kinder oft genug: “Mama hat mich nicht mehr lieb, weil ich im Diktat ein 6 geschrieben habe!” Dieses ganze Belohnung- und Bestrafungssystem zerstört die ganze Kreativität und Lernfreude. Wir müssen unbedingt umdenken!

    1. Hallo Sabine,
      ich denke, es ist auch immer eine ziemlich überlegensintensive Sache, Möglichkeiten für intrinsische Motivation zu finden. Aber ich glaube, unser Ansatz, spielend lernen zu lassen, Spannung in den Unterricht zu bringen und mit Memoflips usw. die Kinder vergessen zu lassen, dass sie eigentlich sehr intensiv lernen, ist schon der richtige. Danke für deine Rückmeldung.

  2. Katrin Ludwig

    Klasse,
    was mir an dieser musikalischen Rolltreppe besonders gefällt, ist die Tatsache, dass jede Menge Erwachsene sich offenbar mit ganz viel Freude darauf eingelassen haben. Nicht nur Kinder lernen spielerisch, auch die Großen…ein Glück, denn ich arbeite in einer Berufsschule, da ist oft nur noch ein Rest “Lernfreude” vorhanden.Gut zu wissen, wie und dass es anders geht!

  3. Anita

    Bei aller Kreativität und Euphorie würde mich doch die Langzeitwirkung des Experiments interessieren. Wer zum 10., 15. oder 100. Mal diesen U- Bahnschacht verlässt, wird der immer noch das Klavier nutzen oder wohl eher doch wieder auf die Rolltreppe steigen? Hat er immer noch so viel Spaß an der Musik oder wird ihm der Lärm nicht mächtig auf die Nerven fallen?

    1. Hallo Anita, ja sicher nutzt sich die Idee bald ab. Es ging ja auch nicht darum, dauerhaft die Leute zu motivieren.
      Das ist ja auch unsere tägliche Herausforderung. Wie erzeugen wir immer wieder nachhaltige Motivation ohne gleich mit Strafe oder Lob zu winken?
      Ähnlich ist es übrigens mit Übungen, die für unser Gehirn neu sind. Hier werden neue Nervenbahnen gelegt, aber wenn sich der Kopf/ Körper daran gewöhnt hat, muss man die Übung ändern , um bald wieder einen ähnlichen Effekt zu erzielen.
      Danke für deinen Beitrag. Davon lebt die Seite.

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